Duchampgrillausstellung

Eröffnung Freitag, 26. 3. 2010, 18 Uhr

27.3. bis 15. 4. 2010

Arbeiten, Texte, Getränke und DVD-Präsentation von Seraphina Lenz, Markus Binner, Roman Steger, Prof. Dr. Eva Sturm, u. a.



Es ist so. Erst macht man ein Projekt und dann macht man eine Ausstellung. Und sogleich stellt sich die Frage, wie gehören die beiden zusammen? So wie ein Primär- und ein Sekundärtext? Das Projekt ist klar: Es handelt sich um den Duchampgrill, ein Kunstprojekt der feinsten Küche, welches am 26. September hier im Pluto und auf einem Stück Koloniestrasse davor stattfand. Dieser Tag war lange gewachsen und viele Menschen waren daran beteiligt, mit Leib, Geist, Zunge und Seele.


Und jetzt hier. Was zu sehen gegeben wird, ist keine Projektdokumentation, sondern ein Weiterarbeiten, indem ein künstlerisches Verfahren thematisiert ausgestellt und umgesetzt wird. Man hat es infolgedessen mit einer neuen künstlerischen Arbeit zu tun, welche wieder Fragen aufwirft; die nicht tut, als wäre alles klar, vorbei, beantwortet, und einfach zu wiederholen, sondern die den Finger dorthin legt, wo die Sachen sich wieder neu bilden, neu zusammen finden können. Nicht, man nehme, sondern eher, man versuche, man suche. Was war, was war gut und wird erinnernd wie, auf welche Weise, mit welcher Methode hergestellt, verschoben neu zusammen gesetzt.


Zum Beispiel der Kalbstafelspitz. Von Seraphina Lenz in Dosen verschlossen, konserviert, in eine Kalbstafelspitzkonservendose verwandelt. Der Genuss wird ausgesperrt, aufgeschoben. Wohin?


Oder ein Text von Markus Binner, der ein weiteres Stichwort zur Kunst liefert, welches den beim Duchampgrill vorgetragenen Text fortsetzen könnte: Kunst handelt vom Entscheiden. Die Karotte zum Beispiel ist eine künstlerische Entscheidung. Die Kalbstafelspitzkonservierung ist eine Entscheidung. Lauter Entscheidungen, die auf sich selbst als solche zeigen.


Denn, wie ist das mit dem Entscheiden und der Kunst.
Den ganzen Tag, fast ununterbrochen werden Entscheidungen gefällt. Ja Nein. Ein Ausschluss wird jeweils vorgenommen und weiter geht‘s. Es verzweigt sich. Die Entscheidung streicht die Möglichkeit durch, geht weg vom Oder, das die Dinge in einer Balance halten will. Dabei ist das Subjekt im Moment der Entscheidung sehend blind. Denn es kann nicht gesehen, nur vermutet werden, was wird. Und das muss ausgehalten und getragen, verantwortet werden. „Derrida instistiert darauf, dass Urteile und Entscheidungen getroffen werden müssen, vorausgesetzt, dass sie, sollen sie verantwortungsvoll gefällt sein, durch eine Erfahrung des Unentscheidbaren gegangen sein müssen.“ (Critchley 1999, 85) Kunst, so die These handelt vom Entscheiden und vom Unentscheidbaren. Sie ist ein Möglichkeitsraum, ein Raum des Als-Ob und des Sich-Ereignens gleichzeitig. Die Künstlerin, der Künstler entscheidet die ganze Zeit, muss dies tun. Auch wenn sie oder er ein großes Oder lässt, entscheidet sie oder er, dass dies oder jenes der nächste Schritt ist. Die Folgen solchen Entscheidens und Unentscheidens werden Teil des Prozesses. Sie sind gewünscht, intendiert, werden in Kauf genommen, werden sichtbar gehalten. Oder es wird spürbar, dass Entscheidungen immer auf Unentscheidbarem basieren. In der Kunst wird das alles deutlich. Und es führt zur Frage der Motivation, zum Warum, zum Was bedeutet das, Was wird da zu sehen gegeben.

Jede Entscheidung verweist also auf ein – scheinbar – aktives Subjekt. Scheinbar, denn in Entscheidungen begegnet sich das, was differenzierend von anderem getrennt wird und das, was in seinen Folgen nicht oder immer nur begrenzt vorhergesehen werden kann: Ein Schriftzug, Stempel auf Servietten, die Reihenfolge eines Handlungsablaufes, Jakobsmuscheln. Die Karotte wird in diesem Entscheidungsprozeß zum Denkmal, das in ihrer Bedeutung verschoben und gleichzeitig geformt, kochend gestaltet und gekostet wird. Die Entscheidung ist das Messer, das all diese Dinge und Prozesse aus dem Alltäglichen herausgeschält hat. In der Folge verändert sich der Raum, verschieben sich Zusammenhänge.

Oder Roman Steger. Er hat ein Getränk entwickelt: eine klare Sherry-Möhren-Consommé, die im Pluto angeboten wird.

Der das Projekt dokumentierende Film wird zum Barhintergrund. Er ist nicht Hauptdarsteller, sondern ein Fenster wo anders hin, seine eigene Medialität ausstellend. Wenn man den Film ansieht, hat man den Barmann immer mit im Visier, einen anderen Kontext des Verköstigens. Keine große Geste wird hier demonstriert, indem alle sich auf die Schulter klopfen, hier findet eher die Wiederaufnahme eines Geschehens statt, in dem Vieles stattfand, mit dem man nicht gerechnet hätte. Das ist, worauf sich alles hier letztlich bezieht, nachdenklich und als ästhetisches Gefüge, und dies eigentlich gar nicht nur letztlich, sondern auch, um einen anderen Anfang zu setzen. Die Fotos werden aus ihrem Belegzusammenhang gelöst, sie betonen sich selbst in der Funktion Geschichten zu erzählen. Die Rahmen sind anders gelegt.

Die Aufforderung besteht darin, die Teile zusammenzufügen, die Zwischenräume mit Imaginationen auszustatten. Bezüge herstellen, die Karten noch einmal auslegen, die Sachen könnten sich auch anders fortsetzen. Nichts soll bewiesen werden. Also: Das Projekt war das Projekt und das hier ist etwas anderes. Der Sekundärtext wird zu einem neuen Primärtext, der sich auf einen anderen Primärtext, ein Ereignis bezieht.


Eva Sturm, März 2010